Medizin am Abend Berlin - MaAB-Fazit: Erste Referenzwerte für Pulswellengeschwindigkeit erleichtern Vorhersage und Therapie von Herz-Kreislauf-Erkrankungen
- Das Risiko für Schlaganfall sowie Herz- und Nierenerkrankungen erhöht sich mit zunehmender Steifigkeit der Gefäße.
Die Pulswellengeschwindigkeit (Pulse Wave Velocity, PWV) hat sich als Marker für die Gefäßsteifigkeit etabliert, doch bislang fehlten Vergleichsdaten, um die Messwerte richtig einordnen zu können.
Eine neue Metaanalyse aus Innsbruck liefert nun erstmals globale Referenzwerte für die Pulswellengeschwindigkeit und damit die Grundlage für eine gezielte Risikoabschätzung.
Die Neurologen Stefan Kiechl (li.) und Raimund Pechlaner legen erstmals Länder-spezifische Referenzwerte für die Pulswellengeschwindigkeit vor. C. Simon MUI / C. Simon
Im Lauf des Lebens lässt die Elastizität unserer Gefäße nach.
Verschiedenste Faktoren tragen dazu bei, neben Risikofaktoren wie dem Rauchen, Übergewicht, Bluthochdruck oder Bewegungsmangel auch Gefäßverkalkung und der natürliche Alterungsprozess.
- „Werden die Gefäße steifer, dann steigt auch die Ausbreitungsgeschwindigkeit der vom Herzschlag ausgelösten Welle entlang der Aorta und der Arterien an.
Die Pulswellengeschwindigkeit ist also
ein direkter Indikator für die Gesundheit und Elastizität unseres
Gefäßsystems“, weiß Stefan Kiechl, Direktor der Univ.-Klinik für
Neurologie an der Medizin Uni Innsbruck und wissenschaftlicher Leiter
des Forschungszentrums VASCage.
Gezieltere Risikovorhersage
Dem großen Nutzen der PWV als Marker für das Risiko von
Gefäßerkrankungen stand bislang jedoch das Fehlen geeigneter
Referenzwerte gegenüber. „Die PWV kann sehr unterschiedlich sein und
wird nicht nur durch Alter und Geschlecht, sondern auch durch
geografische Faktoren, sozio-ökonomischen Hintergrund und Genetik
bestimmt“, so der Innsbrucker Neurologe Raimund Pechlaner, der gemeinsam
mit Stefan Kiechl bereits vor zwei Jahren nachweisen konnte, dass die
Gefäßsteifigkeit bei Frauen nach der Menopause schnell zunimmt, sodass
Frauen im hohen Lebensalter sogar steifere Gefäße als Männer aufweisen.
Um die Variabilität der PWV darstellen und valide Referenzwerte berechnen zu können, führten die Innsbrucker Neurologen gemeinsam mit Sophia Kiechl (VASCage) sowie KollegInnen in London und Changsha, China eine Metaanalyse durch. Dafür wurden weltweit alle verfügbaren PWV-Messungen kombiniert. Insgesamt wurden 167 Studien aus 34 Ländern mit gemeinsam über 500.000 TeilnehmerInnen, darunter die VASCage-Studien EVA und EVA4You, zusammengeführt. Erfasst wurden jeweils Messergebnisse der Oberarm-Knöchel- oder Karotis-Femoral-PWV (baPWV oder cfPWV) bei für die Gesamtbevölkerung repräsentativen StudienteilnehmerInnen.
„Unsere Daten belegen etwa, dass in China und anderen Ländern des asiatischen Raums höhere Pulswellengeschwindigkeiten gemessen werden, was das gehäufte Auftreten von Kleingefäß-Schlaganfällen und Hirnblutungen in China und anderen asiatischen Ländern erklären könnte“, berichtet Kiechl über Ergebnisse der aktuellen Arbeit, die Länder-spezifische Referenzwerte für die Pulswellengeschwindigkeit bietet und im renommierten Fachjournal eBioMedicine, einem Mitglied der Lancet-Journalfamilie, veröffentlicht wurde.
- Der Neuwert der nun berechneten Schwellenwerte liegt in der verbesserten Vorhersage des individuellen kardiovaskulären Risikos.
„Damit lassen sich in der Folge gezieltere Therapieentscheidungen treffen, zumal die Gefäßsteifigkeit durch die Änderung des Lebensstils beeinflussbar ist.
Schon kurze Zeit nach einem Rauchstopp etwa werden Gefäße wieder
elastischer“, betont Kiechl.
Nachdem die Messung der PWV eine einfache, nicht invasive und gut
reproduzierbare Methode zur Bestimmung der Gefäßsteifigkeit ist und nun
erstmals weltweite Referenzwerte vorliegen, wollen Stefan Kiechl und
Raimund Pechlaner im nächsten Schritt untersuchen, ob sich die PWV
besonders auch für HochrisikopatientInnen als standardisierter
Vorhersagewert eignet.
Zu den Personen:
Stefan Kiechl ist Direktor der Univ.-Klinik für Neurologie an der
Medizinischen Universität Innsbruck. Er ist Chief Scientific Officer von
VASCage, demResearch Centre on Vascular Ageing and Stroke, das auf
Gefäßalterung und Schlaganfall fokussiert und verbesserte Strategien zur
Vorbeugung, Diagnose, Therapie und Rehabilitation von Gefäßerkrankungen
entwickelt. Er ist Past Präsident der Österreichischen
Schlaganfallgesellschaft und Chair of the Congress Planning Group der
Weltschlaganfallorganisation und hat bis dato mehr als 400 Publikationen
(H-Faktor = 94) veröffentlicht. 2016 hat Kiechl den Research Excellence
Award der Europäischen Schlaganfallorganisation erhalten.
Raimund Pechlaner ist Oberarzt und Leiter der Schlaganfall-Station an
der Univ.-Klinik für Neurologie der Medizinischen Universität Innsbruck.
Nach dem Medizinstudium in Innsbruck und Besançon (Frankreich)
dissertierte er bei Stefan Kiechl, wofür er den „Award of Excellence“
der Republik Österreich erhielt, ehe er als PostDoc an das King’s
College London wechselte (Cardiovascular Proteomics group, Manuel Mayr).
Raimund Pechlaner ist Autor von 51 Publikationen (H-Faktor = 20),
darunter führende Autorenschaften in Journal of the American College of
Cardiology und Circulation.
Originalpublikation:
https://doi.org/10.1016/j.ebiom.2023.104619
Doris Heidegger Medizinische Universität Innsbruck
Innrain 52
6020 Innsbruck
Österreich
Tirol
E-Mail-Adresse: doris.heidegger@i-med.ac.at