Medizin am Abend Berlin - MaAB-Fazit: Was tun, wenn die Batterie leer ist? - Gespräch mit dem Arbeitspsychologen Oliver Weigelt
Am 27. April war der Welttag für Sicherheit und Gesundheit am
Arbeitsplatz.
Dieses Thema gehört für Dr. Oliver Weigelt,
Arbeitspsychologe am Wilhelm-Wundt-Institut für Psychologie der
Universität Leipzig, zum beruflichen Alltag.
Er erforscht unter anderem
die Ursachen für Burnout, das immer häufiger zu Krankschreibungen führt,
und hat eine Studie zu einer neuen Methode zur Erfassung des
individuellen Energieniveaus herausgebracht.
Im Interview spricht er
über gesundheitliche Gefahren am Arbeitsplatz und Wege, ihnen zu
begegnen.
Herr Dr. Weigelt, Erschöpfungszustände wie Burnout sind immer
häufiger Grund für Krankschreibungen. Was sind die Gründe dafür?
Die Zunahme an Krankschreibungen im Zusammenhang mit Burnout hat
vielfältige Gründe.
Ein ganz wesentlicher Faktor dürfte aber die
Verdichtung, Beschleunigung und Intensivierung der Arbeit sein.
Groß
angelegte repräsentative Studien zeigen, dass zum Beispiel geleistete
Überstunden mit geringerer mentaler Gesundheit einhergehen.
- Das schließt
unter anderem Symptome wie Erschöpfung, Anspannung, depressive
Verstimmung oder auch psychosomatische Beschwerden ein.
Auch die
gedankliche Weiterbeschäftigung mit der Arbeit außerhalb der regulären
Arbeitszeiten kann den Prozess der Erholung stören. Ein Zuviel an Arbeit
und gleichzeitig eine Vernachlässigung der Selbstfürsorge machen einen
Anstieg in Erschöpfung, dem Kernaspekt von Burnout, wahrscheinlicher.
Neben hohen Arbeitsanforderungen und fehlenden Erholungsphasen trägt
aber auch ein Fehlen von Wertschätzung der geleisteten Arbeit durch die
Organisation zu Erschöpfung, Zynismus und vermindertem Kompetenzerleben
bei.
- Es gibt strukturelle Ursachen wie einen ungünstigen
Personalschlüssel, etwa durch Einsparungen, Fachkräftemangel, bei dem
Arbeit auf weniger Schultern verteilt wird.
Diese Ursachen lassen sich
oft nicht über Nacht beheben.
Insofern ist es wichtig, das Beschäftigte
selbst aktiv einen Ausgleich schaffen oder die Arbeit so anpassen, dass
sie zu ihnen passt und auch mittelfristig ihrer Gesundheit zuträglich
ist.
Welche Warnsignale sollten wir ernst nehmen, wenn wir uns im Job überfordert und erschöpft fühlen?
Sich am Ende eines (Arbeits)Tages erschöpft und müde zu fühlen, ist
normal und teils auch chronobiologisch bestimmt.
Kritischer wird es,
wenn dieser Zustand auch über etwas längere Phasen der Erholung hinweg
wie dem Wochenende anhält. Ich möchte hier nochmal eine Lanze dafür
brechen, nicht erst zu warten, bis ein bestimmter Kipppunkt
überschritten ist und man gravierende Beschwerden hat, sondern die
eigene Gesundheit als Priorität neben Arbeit und Familie zu setzen und
proaktiv in die Hand zu nehmen.
Prävention ist immer viel leichter als
Therapie.
Was sollte man aus Ihrer Sicht präventiv tun?
Angebote im Rahmen des betrieblichen Gesundheitsmanagements haben meist
einen Schwerpunkt auf körperlicher Gesundheit im engeren Sinne und
unterstützen dabei, sich mehr zu bewegen oder sich gesünder zu ernähren.
Viele Trainings, die breiter auf die mentale Gesundheit abzielen,
machen Angebote zum Thema Achtsamkeit und vermitteln zum Beispiel
Entspannungstechniken wie Meditation.
Jenseits dieser bewährten Ansätze kann
'job crafting' – im Deutschen
etwa Arbeitsgestaltung durch die Beschäftigten – eine gute Ergänzung
sein. Bei job crafting geht es darum,
mit kleinen Anpassungen an den
Inhalten oder Schwerpunkten eine bessere Passung herzustellen zwischen
dem, was den eigenen Neigungen und Talenten entspricht und dem, womit
man den Großteil seines Arbeitstages verbringt. Das kann bedeuten,
bestimmte Aufgaben abzugeben und dafür andere zu übernehmen, die besser
zu einem passen. Ich finde es faszinierend, dass der Wandel der
Arbeitswelt im Zuge der digitalen Transformation gleichzeitig Freiräume,
aber auch die Notwendigkeit schafft, die Arbeit selbst zu gestalten.
Aus meiner Sicht tun Organisationen gut daran, Freiräume zur Anpassung
zuzulassen, zum Beispiel über maßgeschneiderte individuelle oder auch
betriebliche Vereinbarungen.
Sie haben im vergangenen Jahr eine Studie zu einer neuen Methode zur
Erfassung des individuellen Energieniveaus veröffentlicht.
Was hat es
mit der Batterieskala menschlicher Energie auf sich?
Menschliche Energie ist ein wichtiger Aspekt des Wohlbefindens, der sich
im Erleben von Vitalität und Tatendrang, aber auch geringen
Ausprägungen von Ermüdung und Erschöpfung widerspiegelt. Das regelmäßige
Erfassen des individuellen Energieniveaus kann zur Prävention und zur
Früherkennung von Erschöpfungszuständen wie Burnout beitragen. Zur
Messung von Aspekten der Energie gibt es viele Skalen. Die meisten von
ihnen sind aber zu lang und zu umfangreich, um sie zum Beispiel für ein
kontinuierliches Aufzeichnen im Laufe eines Arbeitstags zu nutzen. Die
Batterie-Skala besteht nur aus einer Frage. Sie nutzt Bilder vom
Ladezustand einer Batterie, um Personen ihr momentanes Befinden auf
einem Kontinuum von "verbraucht" bis "voller Energie" einschätzen zu
lassen.
Die Metapher der Batterien, die man nach der Arbeit wiederaufladen muss,
ist im Alltag sehr geläufig. Auch mit Symbolbildern des
Batterie-Ladezustands sind die meisten Menschen bestens vertraut, weil
technische Geräte wie Mobiltelefone oder Tablets den Ladezustand
prominent anzeigen. Wir konnten über mehrere Studien hinweg zeigen: Mit
Hilfe einer kurzen Instruktion und den Batterie-Piktogrammen lässt sich
die momentane Vitalität oder auch Erschöpfung valide, besonders
zeitsparend und nutzerfreundlich messen. In unseren Studien benötigten
die Personen in der Regel unter zehn Sekunden für die Bearbeitung.
Anders gesagt, man kann das auch über die Smartwatch auf dem Weg von
einer Besprechung in die nächste ausfüllen.
Wo und wann könnte Ihre Batterieskala Anwendung finden?
Die Batterie-Skala menschlicher Energie bringt den eigenen
Ressourcenstatus auch durch die Farben von grün bis rot sehr prägnant
und anschaulich auf den Punkt. Sie führt einem vor Augen, ob man heute
im roten Bereich ist. Die Batterie-Skala erleichtert deswegen wie
vielleicht kein anderes Messinstrument in dem Bereich auch eine bewusste
Reflexion über die eigene Vitalität im Alltag, zum Beispiel im Rahmen
eines persönlichen Energie-Audits: Man zeichnet den Verlauf der eigenen
Vitalität im Laufe eines Tages oder einer Woche auf und reflektiert dann
anschließend, warum man sich an einem bestimmten Tag besser oder
schlechter gefühlt hat. Dadurch kann man nicht nur achtsamer mit den
eigenen Ressourcen umgehen, man kann auch mögliche Hebel erkennen, um
die eigene Energie zu beeinflussen.
Ich bin Teil einer interdisziplinären Forschungsgruppe unter Beteiligung
von Wirtschaftsinformatik und Psychologie, in der wir eine Plattform
namens ze:st (zappy energy and self-tracking) entwickelt haben. Im
Rahmen von ze:st bieten wir ein Energie-Audit an und geben Teilnehmenden
auf Grundlage ihrer Daten ein Feedback darüber, welche ganz konkreten
Verhaltensweisen im Arbeitsalltag für sie persönlich zu mehr Schwung
beitragen können. Das aus meiner Sicht Spannende an diesem Ansatz: Wir
geben ähnlich wie in der Präzisionsmedizin auf die Person zugeschnittene
Empfehlungen, statt Verhaltensweisen zu empfehlen, die zwar im
Allgemeinen günstig wirken, bei der spezifischen Person aber
möglicherweise eine ganz untergeordnete Rolle spielen.
Aber auch jenseits von ze:st ergeben sich sehr viele praktische
Einsatzmöglichkeiten, überall da, wo man gern die Vitalität oder
Erschöpfung als Indikator mentaler Gesundheit im Zeitverlauf im Auge
behalten möchte.
Aus meiner Sicht ergeben sich aber auch Anwendungen aus
Sicht von Organisationen, etwa im Rahmen des betrieblichen
Gesundheitsmanagements oder bei der psychischen Gefährdungsbeurteilung.
Abgesehen davon eignet sich die Batterie-Skala natürlich als valides
wissenschaftliches Instrument bei Tagebuch-Studien, also
Befragungsstudien mit täglichen Fragebögen über ein oder zwei Wochen, im
Rahmen der Forschung.
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Dr. Oliver Weigelt
Institut für Psychologie – Wilhelm Wundt der Universität Leipzig
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Telefon: 0341 / 9735022
E-Mail-Adresse:
susann.huster@zv.uni-leipzig.de
Originalpublikation:
European Journal of Work and
Organisational Psychology: "Time to recharge batteries - development and
validation of a pictorial scale of human energy", https://www.tandfonline.com/doi/full/10.1080/1359432X.2022.2050218
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