Medizin am Abend Berlin - MaAB-Fazit: Entzündete Nieren als Frühwarnzeichen für schwere Verläufe bei COVID-19
Wissenschaftler der Universitätsmedizin Göttingen entwickeln
Handlungspfad zur Vorhersage von Erkrankungsschwere und
Organkomplikationen bei COVID-19.
Medizin am Abend Berlin ZusatzFachThema: 75 Jahre
Online veröffentlicht in der
renommierten Fachzeitschrift „The Lancet“ in der Ausgabe vom 6. Mai
2020.
Prof. Dr. Oliver Gross, Oberarzt Klinik für Nephrologie und Rheumatologie, UMG
umg
Einen Handlungspfad zur Früherkennung und Behandlung von
schweren Verläufen bei COVID-19 Infektionen hat ein Expertenteam der
Universitätsmedizin Göttingen (UMG) entwickelt.
- Ein einfacher Urintest
soll dem ärztlichen Fachpersonal helfen, schon früher Warnzeichen für
einen bevorstehenden schweren Verlauf der COVID-19 Erkrankung zu
erkennen.
- Anhand weniger Parameter kann so, noch Tage, bevor Lunge und
andere Organe schwer versagen, mit der Behandlung drohender
Komplikationen begonnen werden.
Damit ließen sich bei vielen Erkrankten
lebensbedrohliche Verschlechterungen und Todesfälle verhindern.
Medizin am Abend Berlin ZusatzFachLink: Laboruntersuchung
Die
Erkenntnisse der UMG-Wissenschaftler sind am 6. Mai 2020 als
„Correspondence“ in der renommierten Fachzeitschrift „The Lancet“ online
veröffentlicht.
Ob und wie sehr der vorgeschlagene Handlungspfad zu einer Verbesserung
der Krankenversorgung bei Covid-19 Infektionen beitragen kann, wird
seit dem 24. April 2020 im Rahmen einer großen, nicht-interventionellen
Beobachtungsstudie mit dem Titel „
Covid-19 assoziierte Nephritis als
Prädiktor für die Erkrankungsschwere und Komplikationen“ unter
Beteiligung mehrerer Universitätskliniken in Deutschland untersucht.
-
Bei der stationären Behandlung von COVID-19 Infektionen war dem
Expertenteam aus der UMG aufgefallen, dass gerade bei den
Schwerstkranken – neben Lunge und Herz – schon frühzeitig die Nieren mit
betroffen sind.
Daraufhin hatten die Ärzte der UMG begonnen, ihre
Befunde mit Experten aus dem Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf und
anderen deutschen Universitätskliniken zu evaluieren und zu diskutieren
und sich mit Fachleuten aus Italien, China, England und den USA
auszutauschen.
Aktuelle Gewebsuntersuchungen an Verstorbenen
unterstützen die Vermutung, dass aufgrund der Dramatik der Erkrankung
der anderen Organe die frühe Nierenbeteiligung bisher vernachlässigt
wurde.
Handlungspfad der UMG
bei COVID-19 assoziierter Nephritis
Wenn im Urin der Verdacht auf eine COVID-19
assoziierte Entzündung der
Nieren (Nephritis) besteht, folgt im Handlungspfad der UMG die
Bestimmung von nur drei weiteren einfachen Parametern:
CAVE-Labor: Albumin im Blut,
Albumin im Urin und Antithrombin III.
Diese drei Parameter dienen
zusammen mit dem Urinbefund dazu, das so genannte
„capillary leak
Syndrom“ zu diagnostizieren:
- Dies bedeutet einen lebensbedrohlichen
Verlust von Blutbestandteilen und Eiweiß aus dem Blut in das
(Lungen-)Gewebe durch ein vom Virus ausgelöstes generelles Leck der
kleinen Blutgefäße.
- Anhand der drei Parameter erfolgt die
Risikoeinstufung der Patienten.
-
„Ist auch nur einer von drei Parametern schwer verändert, besteht ein
hohes Risiko, dass sich die Erkrankten auf Normalstation zeitnah
verschlechtern, auf die Intensivstation verlegt werden müssen oder sich
der Verlauf auf Intensivstation noch verschlechtert“, sagt der
Erst-Autor der Publikation, Prof. Dr. Oliver Gross, Oberarzt in der
Klinik für Nephrologie und Rheumatologie der UMG.
Der Handlungspfad der UMG für die Früherkennung des capillary-leak
Syndroms bei COVID-19 Erkrankten sensibilisiert Fachpersonal dafür, ihr
Handeln frühzeitig auf kritische Werte im Blut im Zusammenhang mit einer
COVID-Erkrankung auszurichten:
Bei schwerem Mangel von Albumin im Blut entwickelt sich ein
interstitielles Lungenödem (Wasserlunge).
- Durch das Kapillarleck kommt
es zum Verlust von Albumin aus dem Blut in das Lungengewebe.
- Das
Lungengewebe quillt an, das Atmen und der Austausch von Sauerstoff
werden erschwert.
Die Wassereinlagerungen werden mit
Entwässerungstabletten behandelt.
Durch die Früherkennung des schweren
Albuminmangels im Blut weiß das Fachpersonal zeitig, worauf jetzt
besonders zu achten ist:
• die Entwässerungstherapie kann noch vor Verschlechterung der Atmung beginnen;
• die Entwässerungsmedikamente wirken bei Albuminmangel weniger gut.
- Zur
Entwässerung werden daher deutlich höhere Dosierungen gebraucht.
Oder
es müssen schon früher für den Wasserentzug Dialysemaschinen eingesetzt
werden, bevor das Lungengewebe voller Wasser läuft;
• kritische Medikamente, wie Antibiotika, können durch die geänderte
Plasmaeiweißbindung eine unerwartet andere Wirkstoffkonzentration haben.
Daher sollten vorbeugend die Medikamentenspiegel bestimmt werden;
• der Mangel an Eiweiß im Blut kann besonders leicht zum
Kreislaufversagen führen.
So können frühzeitig vorbeugende Maßnahmen
ergriffen werden.
Bei schwerem Mangel an Antithrombin III im Blut sind Thrombosen
(Gerinnsel in den Blutgefäßen) und Thrombembolien (Gerinnsel lösen sich
und verstopfen die Lungengefäße) die Folge.
Blutverdünnungsmittel, wie
Heparin, werden vorbeugend eingesetzt, um Thrombosen und Thrombembolien
zu verhindern.
Durch die Früherkennung des schweren Antithrombinmangels
im Blut weiß auch hier das Fachpersonal zeitig, worauf besonders zu
achten ist:
• die vorbeugende Therapie mit Blutverdünnungsmitteln kann vor der Bildung von Blutgerinnseln beginnen;
• das gebräuchlichste Blutverdünnungsmittel Heparin wirkt nicht richtig,
da Heparin über das Antithrombin wirkt.
Daher braucht es meist deutlich
höhere Heparindosen, um den gewünschten vorbeugenden Effekt zu erzielen
und so Blutgerinnsel zu verhindern.
„Wenn sich die Befunde des Ärzteteams der UMG bestätigen, hätte dies
einen nachhaltigen Effekt.
So könnte künftig bereits im Vorfeld die
Notwendigkeit einer kommenden Behandlung auf Intensivstation
vorhergesagt werden“, sagt die Senior-Autorin der Publikation, Prof.
Dr. Simone Scheithauer, Direktorin des Instituts für Krankenhaushygiene
und Infektiologie der UMG.
„Zudem könnten Patienten früher und
zutreffender für spezielle Therapien zugeordnet werden (auch bei
Medikamentenstudien).
Durch das frühe Erkennen des capillary-leak
Syndroms könnten symptomatische präventive Therapien eingeleitet werden
und so vielleicht sogar lebensbedrohliche Verläufe verhindert werden“,
so Prof. Scheithauer.
Prof. Dr. Simone Scheithauer, Direktorin Institut für Krankenhaushygiene und Infektiologie, UMG umg/fskimmel
Der Handlungspfad der UMG beginnt mit einer einfachen Urinuntersuchung.
Daher halten die Autoren das Vorgehen auch für COVID-19 Patientengruppen
in Pflegeheimen geeignet und für Betroffene, die nach Diagnosestellung
zunächst ambulant zu Hause behandelt werden.
Hier könnte der Urinbefund
als Frühwarnzeichen dafür dienen, dass eine Verschlechterung des
Zustandes droht.
So könnte zeitig eine ambulante Maßnahme früher
einsetzen und weiteren Schaden und vielleicht einen
Krankenhausaufenthalt verhindern.
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Klinik für Nephrologie und Rheumatologie
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Stefan Weller
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Originalpublikation:
Originalveröffentlichung: Oliver
Gross, Onnen Moerer, Manfred Weber, Tobias B Huber, Simone Scheithauer:
COVID-19-associated nephritis: early warning for disease severity and
complications? The Lancet, published Online May 6, 2020.
https://doi.org/10.1016/S0140-6736(20)31041-2
