Medizin am Abend Berlin Fazit: Schneller Anstieg von Stickoxiden vergrößert Herzinfarktrisiko
Seit längerem ist bekannt, das hohe Stickoxidkonzentrationen in der
Umgebungsluft der Gesundheit schaden und unter anderem das
Herzinfarktrisiko erhöhen.
In einer epidemiologischen Studie wiesen
Wissenschaftler des Universitätsklinikums Jena jetzt nach, dass sich das
kurzfristige Risiko für einen Herzinfarkt auch erhöht, wenn der
Stickoxidgehalt in der Umgebungsluft innerhalb von 24 Stunden rasch
ansteigt.
Dynamische Anstiege der Luftverschmutzung sind durch
europäische Grenzwerte bisher nicht erfasst.
Schneller Anstieg von Stickoxiden vergrößert Herzinfarktrisiko: Ein schneller Anstieg der Luftverschmutzung durch Stickoxide
vergrößert das Herzinfarktrisiko, so eine Studie des Uniklinikum Jena. Foto: Michael Szabó/ UKJ
In ihrem aktuellen Bericht zur Luftqualität listet die Europäische
Umweltbehörde unter anderem die Lebensjahre auf, die die
Luftverschmutzung die Bevölkerung kostet. Demnach verloren im Jahr 2016
die Europäer insgesamt über 800.000 Lebensjahre wegen der Belastung der
Luft mit Stickstoffdioxid – bei konservativer Rechnung. Dieses Gas
entsteht in der Europäischen Union vor allem in Verbrennungsmotoren von
Kraftfahrzeugen und insbesondere von Diesel-PKWs sowie in Heizanlagen,
es reizt und schädigt nachweislich die Atmungsorgane und erhöht das
Herzinfarktrisiko. Die europaweit geltenden Grenzwerte, 200 Mikrogramm
pro Kubikmeter Luft als maximaler Stundenwert und 40 Mikrogramm im
Jahresmittel, werden deshalb mit einem dichten Netz vom Messpunkten
überwacht.
In einer jetzt im European Journal of Preventive Cardiology
veröffentlichten Studie weisen Ärzte und Medizinstatistiker aus Jena
nach, dass auch der schnelle Anstieg des Stickoxidanteils in der Luft
Auswirkungen auf die Gesundheit haben kann. Dazu betrachteten die
Wissenschaftler alle Patienten, die mit einem akuten Herzinfarkt in den
Jahren 2003 bis 2010 im Universitätsklinikum Jena behandelt wurden. In
die Auswertung flossen nur die Daten derjenigen Patienten ein die aus
einem Umkreis von zehn Kilometer um das Klinikum stammten und für die
sich der Zeitpunkt, zudem die Beschwerden begannen, genau rekonstruieren
ließen.
Die Daten dieser knapp 700 Patienten wurden dann mit den Aufzeichnungen
der Immissionsdaten für Stickoxide (NO_X/2), Ozon (O₃) und Feinstaub
(PM₁₀) der Thüringer Landesanstalt für Umwelt und Geologie abgeglichen,
die diese Parameter für die Luftverschmutzung in Jena erfasst. Im
Detail untersuchten die Wissenschaftler, ob sich die Konzentrationen der
wichtigsten Luftschadstoffe kurz
vor den ersten Herzinfarktsymptomen
über einen Zeitraum von 24 Stunden ungewöhnlich stark verändert haben.
Als Studienort haben sich die Wissenschaftler bewusst eine ‚saubere‘
Stadt ausgewählt: In den betrachteten acht Jahren wurden die derzeit
geltenden europäischen Grenzwerte für alle gemessenen
Luftverschmutzungsparameter in Jena bis auf wenige Tage eingehalten.
Die Mediziner vermuteten zu Beginn der Studie, dass das Risiko für
Herzinfarkte mit der Änderung der Luftqualität zusammenhängt. „Die
Deutlichkeit des Zusammenhangs hat uns dann doch überrascht, sie ist
nahezu linear“, so Dr. Florian Rakers, Seniorautor der Studie. Der
Jenaer Wissenschaftler und Arzt forscht schwerpunktmäßig zum Einfluss
von Umwelteinflüssen auf die Entstehung von Krankheiten.
Prof. Matthias Schwab, Leitender Oberarzt der Klinik für Neurologie und
Koautor der Studie erklärt:
„Das akute Herzinfarktrisiko in unserer
Studie verdoppelte sich in etwa, wenn die Stickoxidkonzentration
innerhalb eines Tages um 20 Mikrogramm pro Kubikmeter anstieg“.
„Rasche Anstiege der Stickoxidkonzentrationen treten auch in einer
vermeintlich sauberen Stadt wie Jena etwa 30-mal pro Jahr auf.
Verantwortlich hierfür ist wahrscheinlich ein ungewöhnlich hohes
Verkehrsaufkommen oder meteorologische Faktoren, die eine
Smogentwicklung begünstigen“, führt Dr. Rakers weiter aus.
Für Feinstaub und Ozon waren die Ergebnisse weniger eindeutig. „Ein
Zusammenhang zwischen einem schnellen Anstieg beider Luftschadstoffe und
dem akuten Herzinfarktrisiko ließ sich nicht bestätigen. Nichts desto
trotz sind hohe Konzentrationen von Feinstaub und Ozon insbesondere für
Patienten mit Lungenerkrankungen schädlich“, betont Prof. P. Christian
Schulze, Direktor der Klinik für Innere Medizin I und Koautor der
Studie.
Mit ihrer Untersuchung erweitern die Jenaer Wissenschaftler das Wissen
zur Gesundheitsschädlichkeit der Stickoxide. Dr. Florian Rakers:
„Das
Risiko für einen Herzinfarkt erhöht sich offenbar nicht nur, wenn
Menschen kurz oder langzeitig hohen Stickoxidkonzentrationen in der
Umgebungsluft ausgesetzt sind, sondern auch, wenn der Stickoxidgehalt
schnell ansteigt. Auf diese Weise könnten sich Stickoxide auch in
vergleichsweise ‚sauberer‘ Luft schädlich auswirken. Wegen der
klinischen Relevanz unserer Ergebnisse sollten dringend Untersuchungen
in größerem Maßstab und anderen geografischen Regionen durchgeführt
werden, um dann gegebenenfalls die EU-Grenzwerte um eine dynamische
Komponente zu erweitern.“
Originalliteratur:
Rasche M, et.al. Rapid increases in nitrogen oxides are associated with
acute myocardial infarction: A case-crossover study, 2018, Eur J Prev
Cardiol, doi: 10.1177/2047487318755804
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