Medizin am Abend Berlin Fazit: Ausgehungerte Zellen verdichten ihre DNA
Wissenschaftler am Institut für Molekulare Biologie (IMB) haben
erstmals die dramatischen Veränderungen der DNA in Zellen beobachtet,
die nicht genug Sauerstoff und Nährstoffe erhalten.
- Dieser
"ausgehungerte" Zustand ist typisch für einige der häufigsten
Krankheiten wie Herzinfarkt, Schlaganfall und Krebs.
Die
Forschungsergebnisse der aktuellen Studie liefern neue Einblicke
darüber, welche Schäden diese Krankheiten verursachen und könnten zur
Entwicklung neuer Behandlungsmethoden beitragen.
Wenn ein Mensch einen Herzinfarkt oder einen Schlaganfall erleidet,
wird die Blutzufuhr zu einem Teil seines Herzens oder Gehirns
unterbrochen.
Das führt dazu, dass die Zellen dort mit Sauerstoff und
Nährstoffen unterversorgt sind. Dieser Zustand der Mangeldurchblutung,
der
auch als Ischämie bezeichnet wird, kann zu langfristigen,
irreparablen Schäden führen.
Ina Kirmes, Doktorandin in der Gruppe von
Dr. George Reid am IMB, hat untersucht, was genau mit der DNA in diesen
Zellen passiert, die von der
Sauerstoff- und Nährstoffversorgung
abgeschnitten sind.
-
In einer gesunden Zelle sind große Teile der DNA offen zugänglich.
- Das
bedeutet, dass Gene einfach abgelesen werden können, sodass die Zelle
normal funktionieren kann.
Forscher am IMB konnten jetzt zeigen,
dass
sich während einer Ischämie die Anordnung der DNA dramatisch verändert:
Die DNA verdichtet sich. Die Gene in solchen kompakten Regionen können
von der Zelle nicht mehr ausgelesen werden, ihre Aktivität ist damit
stark reduziert.
Falls die Blutversorgung nicht wieder hergestellt wird,
fährt die Zelle schließlich ihren Betrieb herunter oder stirbt sogar.
Wenn beispielsweise die Zellen im Herzen eines Menschen nicht mehr
richtig funktionieren, hört dieser Teil des Herzmuskels auf, sich
zusammenzuziehen, und das Herz versagt. Ganz ähnlich verhält es sich im
Gehirn: Ist die Blutzufuhr zu Zellen unterbrochen und damit auch die
Zufuhr von Nährstoffen, so sterben die Nervenzellen ab.
"Bei einem Schlaganfall und/oder bei einem Herzinfarkt passiert
wahrscheinlich genau dies mit der DNA", erklärt Dr. Reid. "Da wir jetzt
wissen, was [in der Zelle] geschieht, können wir nach Wegen suchen,
dieser Verdichtung der DNA vorzubeugen."
Der Schlüssel zu dieser Entdeckung war eine enge Zusammenarbeit mit
Aleksander Szczurek, gemeinsam mit Ina Kirmes Erstautor der Studie, der
in der Gruppe von Prof. Dr. Christoph Cremer am IMB tätig ist. Die
beteiligten Forscherinnen und Forscher nutzten eine neue Methode, mit
der die DNA in der Zelle in bisher unerreichter Genauigkeit dargestellt
werden kann, eine Weiterentwicklung der "superauflösenden
Lichtmikroskopie". Hierbei werden blinkende Farbstoffe eingesetzt, die
an die DNA binden und es somit den Forschern ermöglichen, die Lage von
einzelnen Molekülen in Zellen nachzuverfolgen. Diese neue Technologie
wurde in einem gesonderten Aufsatz beschrieben, der Anfang September
2015 im Journal Experimental Cell Research veröffentlicht wurde.

Neue Mikroskopietechnik bietet bisher unerreichte Detailtiefe in der
Beobachtung einer Zelle. Das Bild der DNA einer Zelle, aufgenommen mit
der am IMB entwickelten neuen superauflösenden Mikroskopietechnik, zeigt
die DNA in scharfen Details (links). Im Gegensatz dazu ist das
herkömmliche Mikroskopiebild verschwommen und macht eine Darstellung der
auffälligen Veränderungen in der DNA, die von den Forschern am IMB
entdeckt wurden, unmöglich (rechts). Quelle: A. Szczurek & I. Kirmes
Dramatische Effekte der Ischämie. Die Bilder zeigen DNA in einem
Zellkern unter normalen (links) und ischämischen (recht) Bedingungen.
Die am IMB entwickelte neue Technik für superauflösende Mikroskopie
zeigt, dass sich die DNA zu ungewöhnlichen, engen Haufen verdichtet,
wenn die Zellen nicht mit Sauerstoff und Nährstoffen versorgt sind. Quelle: A. Szczurek & I. Kirmes
Veröffentlichungen:
Kirmes I, Szczurek A, Prakash K, Charapitsa I, Heiser C, Musheev M,
Schock F, Fornalczyk K, Ma D, Birk U, Christoph Cremer C, Reid G (2015).
A transient ischemic environment induces reversible compaction of
chromatin. Genome Biology, 16, 246
Żurek-Biesiada D, Szczurek AT, Prakash K, Mohana GK, Lee HK, Roignant
JY, Birk U, Dobrucki JW and Cremer C (2015). Localization microscopy of
DNA in situ using Vybrant® DyeCycle™ Violet fluorescent probe: A new
approach to study nuclear nanostructure at single molecule resolution.
Experimental Cell Research, doi: 10.1016/j.yexcr.2015.08.020
Weitere Informationen:
zur Forschung von Dr. George Reid:
http://www.imb.de/reid.
zur Forschung von Prof. Dr. Christoph Cremer:
http://www.imb.de/cremer
Über das Institut für Molekulare Biologie gGmbH
Das Institut für Molekulare Biologie gGmbH (IMB) ist ein
Exzellenzzentrum der Lebenswissenschaften, das 2011 gegründet wurde. Die
Forschung am IMB konzentriert sich auf drei topaktuelle Gebiete:
Epigenetik, Entwicklungsbiologie und Genomstabilität. Das Institut ist
ein Paradebeispiel für eine erfolgreiche Zusammenarbeit zwischen
öffentlichen Einrichtungen und einer privaten Stiftung. Die Boehringer
Ingelheim Stiftung hat 100 Millionen Euro für einen Zeitraum von 10
Jahren bereitgestellt, um die laufenden Kosten für die Forschung am IMB
zu decken, das Land Rheinland-Pfalz noch einmal ca. 50 Millionen Euro
für den Bau des hochmodernen Forschungsgebäudes. Weitere Informationen
zum IMB finden Sie unter
http://www.imb.de.
Boehringer Ingelheim Stiftung
Die Boehringer Ingelheim Stiftung ist eine rechtlich selbstständige,
gemeinnützige Stiftung und fördert die medizinische, biologische,
chemische und pharmazeutische Wissenschaft. Errichtet wurde sie 1977 von
Hubertus Liebrecht, einem Mitglied der Gesellschafterfamilie des
Unternehmens Boehringer Ingelheim. Mit ihrem Perspektiven-Programm "Plus
3" und den "Exploration Grants" für selbstständige
Nachwuchswissenschaftler fördert die Stiftung bundesweit exzellente
unabhängige Nachwuchsforschergruppen. Sie dotiert den internationalen
Heinrich-Wieland-Preis sowie Preise für Nachwuchswissenschaftler. Die
Boehringer Ingelheim Stiftung fördert für zehn Jahre den
wissenschaftlichen Betrieb des 2011 eingeweihten Instituts für
Molekulare Biologie (IMB) an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz
(JGU) mit 100 Millionen Euro. Seit 2013 fördert sie ebenfalls über zehn
Jahre die Lebenswissenschaften an der JGU mit insgesamt 50 Millionen
Euro. Weitere Informationen unter
http://www.boehringer-ingelheim-stiftung.de.
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Petra Giegerich
Johannes Gutenberg-Universität Mainz