Medizin am Abend Berlin Fazit: Erwachsenenstudie: Adipositas und Bluthochdruck auf dem Vormarsch
Im Dezember 2014 begrüßte das Leipziger Forschungszentrum für
Zivilisationserkrankungen (LIFE) der Universität Leipzig seinen 10.000.
Teilnehmer bei der Erwachsenenstudie und erreichte damit das vorgesehene
Ziel. Danach begann die Datenauswertung. Am Donnerstag stellte das
Projektteam unter Leitung von Prof. Markus Löffler ausgewählte
Ergebnisse der Öffentlichkeit vor.
Das Projekt ist eines der größten der Medizinischen Fakultät der
Universität Leipzig. "Die Resonanz und Teilnahmebereitschaft der
Leipziger Bevölkerung war überwältigend", meint PD Dr. Kerstin Wirkner.
Sie leitet die LIFE-ADULT-Studienambulanz.
Adipositas und Körperformen
Bereits in der Zwischenauswertung 2013 berichteten die Forscher,
dass
Adipositas und Bluthochdruck auf dem Vormarsch sind.
Insbesondere mit
höherem Alter wächst der Anteil an übergewichtigen Personen. Besorgnis
erregend ist jedoch, dass dieser Trend zunehmend bei den jüngeren
Altersgruppen zu finden ist. Bereits acht Prozent der unter 40-jährigen
Studienteilnehmer weisen einen
Body-Mass-Index (BMI) von über 30 auf.
Mit der
3D-Bodyscan-Technik wurde in LIFE eine neue Methode eingesetzt,
um
Körperformen und Fettverteilung zu erfassen. Die Wissenschaftler
konnten an dem bisher größten derartigen Datensatz die Einteilung der
Körperformen wesentlich verfeinern.
"Insgesamt haben wir
17 verschiedene
Körperformen ermitteln können", erklärt Dr. Henry Löffler-Wirth, der
die Daten des Bodyscanners ausgewertet hat.
"Allein für Menschen mit
Präadipositas und Adipositas haben wir acht verschiedene Körperformen
gefunden. Es reicht also nicht aus, die Menschen nur nach Apfel- und
Birnenform zu unterscheiden". Die Forscher hoffen, mit dieser
verfeinerten Einteilung Frühzeichen bestimmter Erkrankungen zu finden
und Risikofaktoren für Erkrankungen besser abschätzen zu können.
Stoffwechsel und Gene
Ein wichtiges Ziel des LIFE-Forschungszentrums besteht in der Aufklärung
genetischer Mechanismen, die zu Krankheiten führen können. In einem
sehr aufwändigen Analysegang von Labormedizinern und genetischen
Statistikern wurden sechs neue genetische Varianten entdeckt, die mit
Veränderungen des Energiestoffwechsels im Zusammenhang stehen. Darüber
hinaus gelang es nachzuweisen, dass die Stoffwechselveränderungen durch
veränderte Aktivität der Gene ausgelöst werden. "Dies eröffnet
perspektivisch Therapieansätze zur Behandlung von
stoffwechselassoziierten Erkrankungen wie Übergewicht, Diabetes oder
Herzerkrankungen", sagt Markus Scholz, Professor für genetische
Statistik. Die Ergebnisse wurden gerade in der renommierten
Fachzeitschrift PLOS Genetics publiziert.
Essverhalten
Erstmals überhaupt wurde in einem so großem Rahmen wie der LIFE-Studie
das Essverhalten der Teilnehmer untersucht. Die Auswertung der Daten
zeigt, dass bei sechs Prozent der Probanden das
Essverhaltens stark
gestört ist.
- Dies äußert sich beispielsweise in vermehrtem Essen bei
Angst, Anspannung oder in Gesellschaft.
Über 28 Prozent der Probanden
kontrollieren ihr Essverhalten bewusst. "Diese Kontrolle ist nicht
unbedingt negativ zu sehen. Es handelt sich eher um das Bemühen,
Übergewicht zu vermeiden", erläutert Ernährungswissenschaftlerin Antje
Löffler. Als schwierig zu kontrollieren wird von vielen
Studienteilnehmern das Verlangen nach Süßem betrachtet, von dem sowohl
30 Prozent der Männer als auch 47 Prozent der Frauen berichten.
Blutdruck und kardiovaskuläre Risiken
Ein bedeutendes Gesundheitsproblem stellt der Bluthochdruck dar. 56
Prozent der Männer und 45 Prozent der Frauen in der ADULT-Studie sind
betroffen. Unter den 70- bis 79-Jährigen haben mehr als 75 Prozent einen
behandlungsbedürftigen Bluthochdruck. Hochgerechnet auf die Leipziger
Erwachsenenbevölkerung wird die Prävalenz für Männer auf 38 Prozent und
für Frauen auf 32 Prozent geschätzt. Bluthochdruck ist die häufigste
Indikation für medikamentöse Behandlung in Leipzig. Hoher Blutdruck
trägt wesentlich zu einem hohen Risiko für Herzinfarkt und Schlaganfall
bei.
Schlaf
Schlafstörungen sind häufig und belasten das Wohlbefinden. Knapp 40
Prozent der LIFE-Teilnehmer beklagen eine subjektiv
schlechte
Schlafqualität. In fast zehn Prozent der Fälle werden
Schlafprobleme
berichtet, die als klinisch relevant zu bewerten sind. Frauen sind
stärker betroffen als Männer. "Eine Besonderheit von LIFE ist, dass
nicht nur die Zufriedenheit mit dem Schlaf erfragt wurde, sondern in
einer Gruppe von 3.000 Probanden auch eine einwöchige objektive
Messung
des Schlaf-Wach-Verhaltens mit Hilfe von Aktometern erfolgte", berichtet
Psychologe Dr. Christian Sander.
- Männer haben im Tagesdurchschnitt eine
Netto-Schlafdauer von etwa 6 Stunden 30 Minuten und Frauen von ungefähr
6 Stunden 50 Minuten bei jeweils großen individuellen Unterschieden.
Ein wichtiger Parameter ist die
Schlafeffizienz (Anteil der schlafend
verbrachten Zeit an der gesamten Bettzeit). "Bei über 35 Prozent der
Probanden fand sich eine geringe Schlafeffizienz von weniger als 80
Prozent, was für das Vorliegen von Schlafstörungen spricht.
Bei über 12
Prozent ergab sich eine sehr hohe Schlafeffizienz von über 90 Prozent,
was auf Erschöpfung und Übermüdung hinweist", erklärt Sander.
Depression - Soziale Isolation
Erwartungsgemäß fielen die Ergebnisse zur Häufigkeit depressiver
Symptome aus. So deuten die Ergebnisse an, dass 6,4 Prozent aller
Leipziger zwischen 18 und 79 Jahren
depressive Symptome aufweisen, wobei
hier Frauen mit 8,3 Prozent nahezu doppelt so häufig betroffen sind wie
Männer mit 4,5 Prozent. "Auffällig war bei unseren Auswertungen,
dass
die Häufigkeit depressiver Symptome stark vom sozioökonomischen Status
abhängt. Neu für uns ist ein enger Zusammenhang mit der sozialen
Isolation, sagt Psychologe PD Dr. Tobias Luck. Dabei untersuchten die
Forscher unter Leitung von Prof. Dr. Steffi Riedel-Heller, wie viel
Kontakt die Probanden zu Familienmitgliedern, Freunden und Nachbarn
pflegen oder ob es Vertraute gibt, die sie um Hilfe bitten können.
Soziale Isolation stellt einen Risikofaktor für unser psychisches
Wohlbefinden und unsere Gesundheit dar. Wie die Ergebnisse von LIFE
zeigen, wiesen insgesamt 13 Prozent der Erwachsenbevölkerung ein
erhöhtes Risiko für soziale Isolation auf. "Spannend war hier zu
beobachten, dass sich das Verhältnis Männer - Frauen im Vergleich zur
Depression umkehrt. Das heißt, dass Männer mit 14,6 Prozent häufiger von
sozialer Isolation betroffen waren als Frauen mit 11,6 Prozent",
erklärt Riedel-Heller.
Analog zur depressiven Symptomatik zeigten
allerdings auch hier Menschen mit niedrigem sozioökonomischen Status das
höchste Risiko für eine soziale Isolation (21,1 Prozent vs. 7,8 Prozent
bei Menschen mit hohem Status).
Kognitive Leistungsfähigkeit und Neurodegeneration
Bestätigt wurden frühere vorläufige Ergebnisse bezüglich der kognitiven
Leistungsfähigkeit.
Diese erfasst mehrere Fähigkeiten wie Gedächtnis,
Aufmerksamkeit, Sprache und Orientierung. Diese Fähigkeiten nehmen mit
zunehmenden Alter im Mittel ab, aber mit erheblichen Unterschieden
zwischen den Probanden. Unter den Teilnehmern hatte jeder Zweite das
Gefühl, dass sich das eigene Gedächtnis verschlechtern würde. "Nicht
jeder, der sich selbst ein schlechtes Gedächtnis bescheinigt, hat
allerdings auch gleich ein erhöhtes Risiko, an Demenz zu erkranken",
erklärt Psychologin Dr. Francisca Then. Nur bei jedem fünften Probanden
(20,3 Prozent) über 60 Jahre konnten die Wissenschaftler eine sogenannte
leichte neurokognitive Störung ermitteln, die mit einem erhöhten Risiko
für die Entwicklung einer Demenz einhergeht.
Eine eindrucksvolle Auswertung kommt aus dem Max-Planck-Institut für
Neurokognition. Mittels bildgebender Verfahren können strukturelle
Veränderungen des Gehirns, wie
Marklagerläsionen - Schädigungen in
Bereichen unter der Hirnrinde - oder das Volumen bestimmter Hirnareale
qualitativ und quantitativ bestimmt werden. Ein interessantes Areal ist
zum Beispiel
der Hippocampus, eine Struktur im Inneren des Gehirns, die
für Lernen und Gedächtnis eine wichtige Rolle spielt. Die Auswertung der
mehr als 2.600 MRT-Bilder zeigt, einhergehend mit der Literatur,
dass
das mittlere Volumen des Hippocampus in der LIFE-Adult-Kohorte ab einem
Alter von etwa 60 Jahren kontinuierlich abnimmt, während die
Marklagerläsionen zunehmen. Gleichzeitig korrelierten ein größeres
Hippocampus-Volumen und ein vermindertes Marklagerläsion-Volumen mit
einem besseren Abschneiden in kognitiven Aufgaben.
Stimmprofil
Im Rahmen der Studie wurde erstmals eine Untersuchung der
Sprech- und
Singstimme an knapp 2.500 Probanden durchgeführt. Phoniater Prof. Dr.
Michael Fuchs erklärt dazu: "Wir konnten weltweit erstmals bei einer so
großen Gruppe die Normwerte einer Stimme definieren. Diese Werte sind
ein wichtiger Parameter für die klinische Untersuchung von
Stimmstörungen". Zukünftig wird es damit sicherer zu beurteilen, wie
hoch und wie tief, wie laut und wie leise ein Patient singen kann und in
welchen Tonhöhen und Lautstärken er seine Stimme benutzt, wenn er im
Gespräch ist, einen Vortrag hält oder ruft und ob das dem Durchschnitt
der Bevölkerung entspricht oder davon abweicht.
"Ein überraschendes Ergebnis war, dass stimmgesunde Frauen ihre
Sprechstimme deutlich tiefer einsetzen, als gemeinhin angenommen wird
und in den Lehrbüchern zu lesen ist. Statt einer ganzen Oktave liegt die
Frauenstimme nur noch etwa eine Quinte - also die Hälfte des Wertes -
über der Männerstimme", erörtert Prof. Fuchs.
Zum anderen erstaunte,
dass sich die Grundfrequenzen der Sprechstimmen von Nichtrauchern und
Ex-Rauchern nicht unterschieden, während die Stimmen der Raucherinnen
und Raucher deutlich tiefer waren.
- Das könnte ein Indiz dafür sein, dass
die Stimmveränderungen durch das Rauchen reversibel sind - ein weiterer
guter Grund, mit dem Rauchen aufzuhören.
Ausblick
Die vorgestellten Themen stellen nur einen kleinen Teil der aktuellen
Auswertungen dar. "Diese Basisauswertung zeigt das große
Forschungspotenzial der LIFE-Studie, aber sie erweist sich auch als ein
Instrument, den Gesundheitszustand der Leipziger Bevölkerung
tiefgreifend zu erfassen und daraus Hinweise für praktischen
Handlungsbedarf zu erhalten", erläutert Prof. Dr. Markus Löffler.
Die umfassenden Ergebnisse, die Notwendigkeit die Entstehung von
Zivilisationserkrankungen über lange Zeiträume zu beobachten und nicht
zuletzt die sehr gute Resonanz in der Leipziger Bevölkerung haben die
Forscher bestärkt, neue Gelder für eine Nachbeobachtungsuntersuchung
aller 10.000 Teilnehmer ab Herbst 2016 einzuwerben. "Nur so können wir
die Dynamik der Gesundheitsveränderungen einschätzen und verlässliche
Vorhersagen für Risiken erlangen", so Löffler.
Medizin am Abend Berlin DirektKontakt
Prof. Dr. Markus Löffler
Telefon: +49 341 97-16100
E-Mail: markus.loeffler@imise.uni-leipzig.de
Web:
http://www.imise.uni-leipzig.de
Prof. Dr. Joachim Thiery
Telefon: +49 341 97-22200
E-Mail: thiery@medizin.uni-leipzig.de
PD Dr. Kerstin Wirkner
LIFE
Telefon: +49 341 97-16717
E-Mail: kerstin.wirkner@life.uni-leipzig.de
Web:
http://www.uni-leipzig-life.de
Susann Huster
Universität Leipzig