Medizin am Abend Berlin Fazit: Fehlzeiten-Report 2015: Mehr als jeder fünfte Auszubildende zeigt riskantes Gesundheitsverhalten
Auszubildende weisen zum Teil erhebliche
Defizite bei Gesundheitszustand und Gesundheitsverhalten auf. Dies zeigt
die erste repräsentative Befragung zur Gesundheit von Auszubildenden im
Fehlzeiten-Report 2015 des Wissenschaftlichen Instituts der AOK (WIdO).
Ein Drittel der Auszubildenden berichtet über häufig auftretende
körperliche und psychische Beschwerden.
Gesundheitsgefährdendes
Verhalten wie wenig Bewegung, schlechte Ernährung, wenig Schlaf,
Suchtmittelkonsum oder übermäßige Nutzung der digitalen Medien ist bei
jedem fünften Auszubildenden zu beobachten.
Bei beinahe jedem zehnten
Befragten treten gesundheitliche Beschwerden und gesundheitsgefährdendes
Verhalten gleichzeitig auf. "Es braucht gesundheitsförderliche
Maßnahmen, die auf die speziellen Bedürfnisse der Auszubildenden
abgestimmt sind", sagt Helmut Schröder, stellvertretender
Geschäftsführer des WIdO und Mitherausgeber. "Betriebliche
Gesundheitsförderung für diese Zielgruppe stellt auch einen
Wettbewerbsfaktor für die Unternehmen dar. Mittelfristig werden in
vielen Branchen und Regionen gesunde Auszubildende händeringend
gebraucht." Der Fehlzeiten-Report macht deutlich, wie wichtig
zielgruppenspezifische Präventionsangebote sind, die auf die jeweiligen
Bedürfnisse eingehen.
Ende 2014 gab es knapp 1,4 Millionen
Auszubildende in Deutschland, ca. 37.000 Ausbildungsstellen blieben
unbesetzt. Vor dem Hintergrund der demografischen Entwicklung haben
Unternehmen zunehmend Schwierigkeiten, die vorhandenen
Ausbildungsstellen zu besetzen. Junge und gut ausgebildete Fachkräfte
nützen dem Unternehmen nur, wenn sie gesund und leistungsfähig sind und
auch bleiben. Die erste repräsentative Studie zum Gesundheitszustand der
Auszubildenden in Deutschland, für die rund 1.300 Auszubildende Anfang
des Jahres 2015 befragt wurden, zeigt jedoch, dass dies nicht überall
gegeben ist.
Zahlreiche körperliche und psychische Gesundheitsbeschwerden
Wie
bei jüngeren Beschäftigten zu erwarten ist, schätzen vier von fünf
Auszubildenden (83,6 Prozent) ihren allgemeinen Gesundheitszustand
selbst als gut oder sehr gut ein. Zugleich berichten mehr als die Hälfte
der Auszubildenden (56,5 Prozent) über häufige körperliche Beschwerden
und 46,1 Prozent auch über psychische Beschwerden. So klagt jeder vierte
Auszubildende über
häufige Kopfschmerzen (25,7 Prozent), mehr als jeder
fünfte leidet häufig an
Rückenschmerzen (21,1 Prozent) und
Verspannungen (22,1 Prozent).
Bei häufig auftretenden psychischen
Beschwerden wurden vor allem Müdigkeit/Mattigkeit/Erschöpfung (36,0
Prozent), Lustlosigkeit/Ausgebranntsein (15,1 Prozent), Reizbarkeit
(10,7 Prozent) und Schlafstörungen (10,0 Prozent) genannt.
Problematisches Gesundheitsverhalten
Da
das Gesundheitsverhalten einen
maßgeblichen Einfluss auf den aktuellen
und auch zukünftigen Gesundheitszustand hat, ist es wichtig zu wissen,
ob sich Auszubildende ausreichend bewegen, gesund ernähren oder
ausreichend schlafen.
Wie bei jüngeren Menschen zu erwarten, zeigen sich
hier teilweise Defizite in den Bereichen
Bewegung, Ernährung und Schlaf
sowie im Umgang mit Suchtmitteln und digitalen Medien. Ein Viertel der
Auszubildenden ist kaum sportlich aktiv (26,1 Prozent). 27 Prozent der
Befragten nehmen kein regelmäßiges Frühstück zu sich, und 15,8 Prozent
verzichten auf ein tägliches Mittagessen. Zu den
gesundheitsproblematischen Essgewohnheiten zählt darüber hinaus ein
hoher Konsum an Fast-Food und zuckerhaltigen Lebensmitteln: Mehrfach pro
Woche konsumieren 17,0 Prozent Fast-Food und 57,4 Prozent Süßigkeiten.
Weibliche Auszubildende essen häufiger Süßigkeiten, während Männer zu
einem höheren Anteil Fast-Food-Produkte zu sich nehmen.
Problematisch
erscheint, dass mehr als ein Drittel der männlichen Auszubildenden und
jede vierte weibliche Auszubildende werktags mit weniger als sieben
Stunden Schlaf pro Nacht die Arbeit antreten - obwohl sie in ihrer
Lebensphase eigentlich mehr Schlaf benötigen.
Dies empfindet ein Teil
der Auszubildenden selbst als zu wenig: Mehr als 12 Prozent fühlen sich
wochentags in Arbeit und Schule "fast nie" oder "niemals" ausgeruht und
leistungsfähig. Darüber hinaus raucht mehr als jeder dritte
Auszubildende und fast jeder Fünfte zeigt einen riskanten Alkoholkonsum.
Nahezu jeder zehnte Auszubildende pflegt einen risikobehafteten Gesundheitsstil
Werden
Auszubildende hinsichtlich ihrer gesundheitsbezogenen Lebensweise und
ihrer individuellen Gesundheitsbeschwerden in entsprechenden
Gesundheitsstilgruppen kategorisiert, zeigt sich:
Mehr als die Hälfte
der Auszubildenden (54,3 Prozent) lebt gesundheitsbewusst und hat kaum
körperliche und psychische Gesundheitsbeschwerden. Sie bilden die größte
Gruppe der Auszubildenden.
Dagegen erreicht das
Gesundheitsverhalten bei mehr als jedem fünften Auszubildenden (21,9
Prozent) einen überdurchschnittlichen Gefährdungswert. Kriterien für
diesen Typ sind beispielsweise, weniger als einmal im Monat einer
sportlichen Betätigung nachzugehen oder mindestens einmal die Woche
übermäßigen Alkohol zu trinken. Mehr als die Hälfte dieser
Auszubildenden hat trotz dieser hohen gesundheitlichen Gefährdung nur
wenige Gesundheitsbeschwerden (12,6 Prozent aller Auszubildenden). Bei
den Auszubildenden mit "risikobehafteten" Gesundheitsstil (9,3 Prozent)
trifft ein ungesunder Lebensstil bereits mit körperlichen und
psychischen Beschwerden zusammen.
Deutliche Auswirkungen auf Ausbildung und Schule
Es
zeigt sich erwartungsgemäß, dass Auszubildende mit einem
gesundheitsbewussten Stil die Arbeitsbedingungen wie auch die der
Belastungssituation im Betrieb insgesamt positiver wahrnehmen. So
schätzen diese definierten gesunden Auszubildenden ihre
Arbeitsbedingungen in nahezu allen Aspekten am positivsten ein. Die
Gruppe der risikobehafteten Auszubildenden nimmt eine deutlich
kritischere Bewertung vor. Von ihnen fühlen sich 14,2 Prozent nicht
angemessen im Betrieb gefordert, von den gesunden Auszubildenden sagen
dies nur 5,7 Prozent. Jeder Vierte (28,5 Prozent) der risikobehafteten
Befragten sieht die beruflichen Entwicklungschancen pessimistisch, die
gesunden Auszubildenden sind mit 12,5 Prozent optimistischer. Auch das
Verhalten des Vorgesetzten bewerten sie unterschiedlich: Während ein
Fünftel der risikobehafteten Auszubildenden (20,6 Prozent) bemängelt,
dass sich ihr Vorgesetzter nicht ausreichend Zeit für sie nimmt, liegt
der Vergleichswert bei gesunden Auszubildenden deutlich niedriger (8,6
Prozent).
Hohe Zufriedenheit mit den Ausbildungsbetrieben
Alles
in Allem stellen die Auszubildenden der Gesamtsituation in ihren
Betrieben ein positives Zeugnis aus: Drei Viertel der Auszubildenden
(73,7 Prozent) sind zufrieden bzw. sehr zufrieden, lediglich 6,1 Prozent
sind nicht zufrieden. Aber auch hier macht sich der Einfluss der
Gesundheitsstile bemerkbar: Während mehr als jeder zehnte der
risikobehafteten Auszubildenden (10,9 Prozent) mit der Arbeit im Betrieb
nicht zufrieden ist, sind dies bei den gesunden Auszubildenden nur 3,3
Prozent. Es ist zu vermuten, dass eine hohe Zufriedenheit mit einem
erfolgreichen Ausbildungsabschluss sowie einer Weiterbeschäftigung im
Ausbildungsbetrieb einhergeht.
Großes Interesse an betrieblichen Gesundheitsangeboten
Die
Befragung zeigt, dass die Auszubildenden gegenüber betrieblichen
Gesundheitsangeboten sehr aufgeschlossen sind. Fast drei Viertel der
Auszubildenden halten Gesundheitsförderangebote des Betriebs für gut.
Fast zwei Drittel von ihnen würden speziell auf Auszubildende
zugeschnittene betriebliche Angebote bevorzugen. "Die Studienergebnisse
zeigen auch, dass von Seiten der Auszubildenden ein hoher Bedarf an
Maßnahmen zur Betrieblichen Gesundheitsförderung besteht. Für
Unternehmen, die dies erkennen, bietet sich die Chance, Fehlzeiten bei
Auszubildenden frühzeitig zu begegnen. Dafür sollten sie von Beginn an
zielgruppengerechte gesundheitsförderliche Angebote entwickeln", so
Schröder.
Krankenstand: Psychische Erkrankungen nehmen wieder zu
Insgesamt
ist der Krankenstand bei den elf Millionen AOK-versicherten
Arbeitnehmern im Jahr 2014 im Vergleich zum Vorjahr mit einem Anstieg
von 0,1 Prozentpunkt fast gleich geblieben und liegt nunmehr bei 5,2
Prozent.
Damit hat jeder Beschäftigte im Durchschnitt 18,9 Tage aufgrund
einer ärztlichen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung im Betrieb gefehlt.
Bei
Betrachtung der Fehlzeiten nach ursächlichen Krankheitsarten fällt auf:
- Psychische Erkrankungen sind im Durchschnitt wieder deutlich
angestiegen. Nach einer Stagnation im Jahr 2013 legten sie entsprechend
dem langjährigen Trend vor 2013 mit 9,7 Prozent wieder deutlich zu. Sie
führen außerdem zu langen Ausfallzeiten. Mit 25,2 Tagen je Fall dauerten
sie mehr als doppelt so lange wie der Durchschnitt mit 11,9 Tagen je
Fall im Jahr 2014.
Der Fehlzeiten-Report, der vom
Wissenschaftlichen Institut der AOK (WIdO), der Universität Bielefeld
und der Beuth Hochschule für Technik Berlin herausgegeben wird,
informiert jährlich umfassend über die Krankenstandsentwicklung in der
deutschen Wirtschaft und beleuchtet dabei detailliert einzelne Branchen.
Schwerpunkt in diesem Jahr sind Beschäftigtengruppen, die bisher
weniger im Fokus gestanden haben.
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