Medizin am Abend Fazit: „Kanada-Studie“ zeigt erhebliche methodische Mängel
Als einzige von 8 randomisierten kontrollierten Screeningstudien
zeigte die 1980-1985 durchgeführte „Kanada-Studie“ keine Reduktion der
Brustkrebssterblichkeit. Dieses Ergebnis wurde nach 25 Jahren
Nachbeobachtung erneut veröffentlicht. Die Aussagekraft der
„Kanada-Studie“ sei jedoch stark in Zweifel zu ziehen, denn sie weise
erhebliche methodische Mängel auf. Schlechte Mammographie-Qualität,
unsaubere Studiendurchführung sowie fehlende ärztliche
Qualitätssicherung: So lautet das Fazit der aktuellen systematischen
Analyse der Original-Literatur zur Canadian National Breast Cancer
Screening Study (CNBSS) von Heywang-Köbrunner und Katalinic.
Mammographie Screening Fotolia
Die Autoren sehen die bislang als am „aussagekräftigsten“ gehandelte
Studie als ein Beispiel, wie im vergangenen Jahrzehnt die Evidenz im
Bereich des Brustkrebsscreenings systematisch verzerrt wurde.
Die
Analyse von Heywang-Köbrunner, Katalinic et al., kürzlich erschienen in
der Fachzeitschrift European Radiology, weise auf die Notwendigkeit
einer ausgewogenen wissenschaftlichen Diskussion zu Nutzen und Schaden
des Mammographie-Screenings hin. Denn gerade der „Kanada-Studie“ sei
aufgrund der Reviews von Gøtzsche vom Nordic Cochrane Institute ein
besonders hoher Wert zugeschrieben worden. Nach einer systematischen
Literaturrecherche kommen Heywang-Köbrunner und Katalinic zu dem
Schluss,
dass die „Kanada-Studie“ gravierende Defizite im
Randomisierungsprozess und Testverfahren aufzeige. Bereits zum Zeitpunkt
der ersten Veröffentlichung dieser Studie in 1992 hätten Qualität,
Randomisierung und Design der Studie eine große Debatte in der
Wissenschaft ausgelöst. Die Autoren machen ihre Kritik an mehreren
Punkten fest.
Zum einen führen Heywang-Köbrunner und Katalinic
mangelhafte Bildqualität, fehlendes Training und fehlende
Qualitätssicherung in der mammographischen Erstellung sowie Befundung
an.
Die Mammographiequalität sei vom zuständigen Physiker als „weit
unter damaligem Standard“ bewertet worden. Während der Studie hätten die
beiden radiologischen Berater der Studie wegen unüberwindbarer
Qualitätsdefizite ihr Amt niedergelegt. Die Interpretation von Bildern
mit den in der Literatur zu dieser Studie genannten Qualitätsmängeln sei
nach Aussage der Erstautorin in Deutschland nicht zulässig, auch wenn
die später eingeführte Qualitätskontrolle gegen Ende der Studie
Verbesserungen gezeigt habe.
Ein weiterer Kritikpunkt sind nach Auffassung der Autoren Fehler in der
Auswahl der Studienteilnehmerinnen und im Randomisierungsverfahren, die
eine Zufallsverteilung zwischen Studien- und Kontrollgruppe garantieren
müssten. Schon die Zusammensetzung der untersuchten Gruppen stütze den
Verdacht, dass kein Screeningkollektiv untersucht wurde, sondern
großenteils Frauen mit Beschwerden. Demnach seien 68 Prozent der
eingeschlossenen Karzinome bereits tastbar gewesen. Die Testung dieser
Frauen sei jedoch für die Nutzenbewertung eines
Krebsfrüherkennungsprogramms prinzipiell ungeeignet. Auch könne das im
Studienhandbuch dokumentierte Vorgehen die für eine korrekte
Randomisierung unverzichtbare Blindung nicht garantieren. In der ersten
Runde der Randomisierung seien dann auch 19 von 24 Karzinomen in
fortgeschrittenem Stadium der Mammographie-Gruppe zugeordnet worden,
jedoch nur 5 der Kontrollgruppe. Vor allem die für eine
Zufallsverteilung sehr unwahrscheinliche, ungleiche Verteilung dieser
weit fortgeschrittenen Stadien (Karzinome mit mehr als 4 befallenen
Lymphknoten) in der Startrunde (Prävalenzrunde) der Frauen unter 50
Jahre sei signifikant. Späte Stadien von Karzinomen haben aber einen
gravierenden Einfluss auf die Beurteilung der Mortalitätsreduktion und
die Kalkulation von Überdiagnosen. Die Autoren betonen, dass die in der
„Kanada-Studie“ vorgenommene Selektion der Studienteilnehmerinnen (ca.
10% der Bevölkerung, extrem hoher Anteil an Tastbefunden) einer
Screeningstudie widerspreche. Denn laufende Screening-Programme sind
bevölkerungsbezogen und richten sich an asymptomatische Frauen. Aufgrund
der im Design festgestellten Probleme (Randomisierung nach der
klinischen Untersuchung am Studienzentrum, fehlende Garantie der
Blindung bei dezentraler Randomisierung) erfülle die Studie nach
Einschätzung der Autoren nicht die für eine evidenzbasierte Analyse zu
fordernden Voraussetzungen.
Zusammenfassend halten die Autoren fest, dass „Äpfel mit Birnen
verglichen“ werden, wolle man das Setting der „Kanada-Studie“ mit den
modernen qualitätsgesicherten Screening-Programmen vergleichen. Denn in
ihnen unterliege im Gegensatz zur „Kanada-Studie“ die Ausbildung des
Personals, die Bilderstellung, die Befundung und auch das Vorgehen bei
der Abklärung auffälliger Befunde einer strengen Qualitätssicherung.
Neue Ergebnisse aus diesen qualitätsgesicherten Screeningprogrammen
berichten eine Mortalitätsreduktion um bis zu 40 Prozent. Führen
Kritiker die Daten der „„Kanada-Studie““ dennoch als Argument gegen das
Mammographie-Screening ins Feld, werde die tatsächliche Beweislage
verzerrt. Zudem werde ein wichtiger Teil der Ergebnisse für die
heutigen, mit moderner Technik und Qualitätssicherung durchgeführten
Screening-Programme ignoriert. Die von Screeningkritikern vorgebrachte
Alternative zum Screening, nämlich „warten bis der Krebs tastbar ist“,
führe zur Entdeckung in späten Stadien, verbunden mit der Notwendigkeit
aggressiverer Behandlungen einschließlich Chemotherapie, häufigerer
Achselhöhlenausräumung und schlussendlich zu schlechteren
Überlebenschancen.
Literatur: Heywang-Köbrunner SH, Schreer I, Hacker A, Noftz MR,
Katalinic A( 2015) Conclusions for mammography screening after 25-year
follow-up of the Canadian National Breast Cancer Screening Study
(CNBBS). Eur Radiol doi 10.1007/s00330-015-3849-2 Miller AB, Wall C,
Baines CJ et al (2014) Twenty five year follow-up for breast cancer
incidence and mortality of the Canadian National Breast Screening Study:
randomized screening trial. BMJ 348:g366 Gøtzsche PC, Jørgensen KJ
(2013) Screening for breast cancer with mammography. Cochrane Database
Syst Rev 6, CD001877. Doi:10.1003/14651858. CD001877.pub5
Kooperationsgemeinschaft Mammographie: Die Kooperationsgemeinschaft
Mammographie ist in gemeinsamer Trägerschaft von den gesetzlichen
Krankenkassen und der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) im August
2003 gegründet worden. Ihre Aufgabe ist die Koordination,
Qualitätssicherung und Evaluation des Mammographie-Screening-Programms.
Im Jahr 2005 gingen die ersten Screening-Einheiten an den Start. Seit
2009 ist das Programm in Deutschland flächendeckend umgesetzt.
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