Medizin am Abend Fazit: Vitamin E bügelt Gendefekt aus
Oxidativer Stress schadet dem Immunsystem. ETH-Forschende um Prof.
Manfred Kopf zeigen nun erstmals auf, dass erhöhte Vitamin-E-Dosen
diesen Stress auf Immunzellen mildern.
Ein Tag im Hochgebirge, blendend weisser Schnee, die Sonne strahlt
vom Himmel: beste Bedingungen fürs Skifahren - und mögliche
Voraussetzung dafür, dass nach dem Skitag von
Herpes-Viren erzeugte
Fieberbläschen blühen. Denn
die erhöhte UV-Strahlung lässt im Körper
freie Radikale entstehen. Dadurch kommt der Körper unter oxidativen
Stress, was das Immunsystem schwächt.
Dies wiederum begünstigt die
Vermehrung der Herpes-Viren.
Oxidativer Stress ist zu einem grossen Thema geworden, an vielen
Krankheiten soll er mitbeteiligt wenn nicht sogar ursächlich sein.
Neben
UV-Strahlung führen auch andere Umwelteinflüsse zu einem hohen
oxidativen Stress im Körper, etwa Luftverschmutzung, Rauchen oder
Alkoholkonsum und nicht zuletzt Infektionen. Und immer wieder ist die
Rede davon, dass man mit entsprechender Vitamin-Nahrungsergänzung die
freien (Sauerstoff-)Radikale bekämpfen kann.
T-Zellen teilen sich nach Feindkontakt
Forscherinnen und Forscher aus der Gruppe von Manfred Kopf, Professor am
Institut für molekulare Gesundheitswissenschaften der ETH Zürich, sind
nun ausgehend von diesen Fragen auf ein Phänomen gestossen, das die
Auswirkungen von oxidativem Stress auf Immunzellen erklärt.
Dringt ein Fremdkörper wie ein Virus oder irgendein anderer Erreger in
den Körper ein, so reagieren bestimmte Immunzellen, die sogenannten
T-Zellen,
mit starker und rascher Vermehrung. Eine Unterklasse davon,
die
CD8+T-Zellen, töten beispielsweise die von einem Virus befallenen
Körperzellen und eliminieren so das Virus. Wiederum andere T-Zellen, die
CD4+ T-Zellen, koordinieren die Immunantwort gegen alle Arten von
Erreger. Sie sind die Generäle des Immunsystems.
Bis diese T-Zellen aber wirksam eingreifen können, dauert es eine Woche,
weil es zu Beginn einer Infektion zu wenige davon gibt, die spezifisch
einen bestimmten Erreger erkennen können.. Erst nach diesem
«Feindkontakt» teilen sich die wenigen «Späher», dann aber
alle acht bis
zwölf Stunden, um Kopien (Klone) herzustellen, so dass es nach wenigen
Tagen hunderttausende davon gibt. Erst diese Übermacht kann die
Infektion erfolgreich bekämpfen.
Ohne Reparaturwerkzeug keine Immunantwort
Dies funktioniert allerdings nicht, wenn starker oxidativer Stress die
T-Zellen schädigt und dem Körper das richtige Werkzeug fehlt, um die
Schäden zu beheben, wie Kopfs Forschungsgruppe, namentlich Doktorandin
und Erstautorin Mai Matsushita, nun in ihrer neuen Publikation in der
Fachzeitschrift «Journal of Experimental Medicine» aufzeigt.
Fehlt den Immunzellen das
Reparatur-Enzym Gpx4 (oder ist es defekt),
sterben die sich teilenden T-Zellen ab, das Immunsystem kann die Erreger
nicht eliminieren und die Infektion wird chronisch. Das Enzym ist dafür
zuständig, oxidative Schäden an der Zellmembran zu reparieren.
Vitamin E als Retter in der Not
Zu ihrer Überraschung konnten die Forscher aber die Immunzellen vor dem
Zelltod retten, indem sie den Versuchstieren, in deren Immunzellen das
Reparatur-Enzym fehlte, eine
hohe Dosis von Vitamin E ins Futter
mischten. Diese Menge des Antioxidans‘ reichte aus, um die Zellmembran
der T-Zellen vor Schäden zu schützen, so dass sie sich vervielfältigen
und die Virusinfektion erfolgreich abwehren konnte. Die Menge an Vitamin
E im Mäusefutter lag mit 500 Milligramm pro Kilogramm Futter um das
zehnfache höher als in der standardisierten Normalnahrung.
Zeigen konnten dies die Forscher anhand eines Mausmodells, für welches
sie Tiere verwendeten, bei denen das Gpx4-Gen zellspezifisch oder zu
einem beliebigen Zeitpunkt inaktiviert werden kann. Diese Mäuse wurden
von Forschenden des Helmholtz Zentrums München entwickelt. Die
ETH-Wissenschaftler haben diesen Mäusestamm nun so verändert, dass das
Gpx4-Gen nur in T- Zellen oder in bestimmten Fresszellen des
Immunsystems inaktiv war.
Vitamin-Supplementierung umstritten
«Der Nutzen von Vitamintabletten ist ein kontroverses Thema», sagt
Manfred Kopf. Starke wissenschaftliche Beweise, dass diese
Vitaminzusätze nützen, gebe es nur wenige. Umso interessanter sei
deshalb ihre Studie, die einen Nutzen von Vitamin E belege. «Unsere
Arbeit zeigt, dass sogar ein genetischer Defekt eines Hauptbestandteils
der antioxidativen Maschinerie einer Zelle durch Verabreichung einer
hohen Dosis Vitamin E kompensiert werden kann. Das ist neu und
überraschend.»
Als wissenschaftlich wertvoll und bedeutend beurteilt Kopf die Tatsache,
dass die Immunzellen bei oxidativem Stress den gleichen Tod erleiden
wie bestimmte Arten von Krebszellen bei Behandlung mit einem
Zytostatikum. Dieser programmierte Zelltod wird Ferroptose genannt und
wurde erstmals im Jahr 2012 in einer wissenschaftlichen Publikation
beschrieben. «Wir sind die ersten, die aufzeigen können, dass
Immunzellen genauso wie Krebszellen aufgrund des oxidativen Stresses
denselben Tod erleiden», sagt Kopf.
Was die Resultate ihrer Studie für die menschliche Gesundheit bedeutet,
darüber ist sich der ETH-Professor noch nicht im Klaren. Menschen, die
normal gesund seien und sich ausgewogen ernährten, würden keine
Vitamin-Supplementierung benötigen, findet er. Es könne aber durchaus
sinnvoll sein bei oxidativem Stress, wie er im Alltag bei Infektionen
oder durch UV-Licht entstehen kann, an eine Ergänzung mit Vitamin E oder
anderen fettlöslichen Antioxidantien zu denken.
Ein massiver oxidativer Stress besteht bei Patienten mit bestimmten
neurodegenerativen Erkrankungen oder Diabetes, wobei Antioxidantien eine
gute Unterstützung einer Behandlung sein können.
Wie gross die Mengen
sein sollten, kann der Forscher aufgrund der Ergebnisse seiner Studie
nicht sagen. Das sei auch nicht analysiert worden, da sie ihre
Untersuchungen lediglich anhand eines Mausmodells gemacht hätten.
Literaturhinweis
Matsushita M, Freigang S, Schneider C, Conrad M, Bornkamm GW, Kopf M. T
cell lipid peroxidation induces ferroptosis and prevents immunity to
infection. Journal of Experimental Medicine, 30. März 2015. doi:
10.1084/jem.20140857
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Peter Rüegg Eidgenössische Technische Hochschule Zürich (ETH Zürich)