Medizin am Abend Fazit: Alkoholstudie liefert überraschende Ergebnisse
Die Sterblichkeit von Patienten mit Alkoholsucht in
Allgemeinkrankenhäusern ist um ein Vielfaches höher als bei Behandelten
ohne Alkoholabhängigkeit.
Außerdem sterben sie im Schnitt rund 7,6 Jahre
früher als Krankenhauspatienten ohne einen solchen Suchthintergrund.
Das haben Wissenschaftler der Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und
Psychotherapie des Universitätsklinikums Bonn mit britischen Kollegen
anhand von Patientendaten mehrerer Allgemeinkrankenhäuser in Manchester
(England) herausgefunden.
Die Forscher fordern eine frühere und
intensivere psychotherapeutische Begleitung von Alkoholkranken. Die
Studie ist nun im Journal “European Psychiatry” veröffentlicht.
Dr. Dieter Schoepf von der Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie des Universitätsklinikums Bonn. (c) Foto: privat
Wie komme ich nur an Alkohol heran? Die Gedanken der Suchtkranken
verengen sich zunehmend auf diese Frage. In dem Maße wie das zwanghafte
Trinkverhalten zunimmt, werden andere Interessen vernachlässigt. Als
typisch gilt auch, dass Betroffene ihre Sucht leugnen, unter
Entzugserscheinungen leiden und die Gewöhnung an den Alkoholkonsum
zunimmt. Darüber hinaus führt Alkoholismus zu Veränderungen der
Persönlichkeit sowie zu Problemen in der Familie und am Arbeitsplatz.
„Mit der Alkoholsucht sind sowohl psychische Probleme als auch
erhebliche körperliche Beeinträchtigungen der Gesundheit verbunden“,
sagt Dr. Dieter Schoepf von der Klinik und Poliklinik für Psychiatrie
und Psychotherapie des Universitätsklinikums Bonn.
„Im Schnitt sterben
Alkoholiker, die wegen gesundheitlicher Probleme in britischen
Allgemeinkrankenhäusern behandelt wurden, aufgrund des Zusammenwirkens
mehrerer körperlicher Begleiterkrankungen 7,6 Jahre früher als Patienten
ohne Alkoholsucht“, berichtet der Wissenschaftler. Für die Studie
werteten Dr. Schoepf und Prof. Dr. Reinhard Heun vom Royal Derby
Hospital in England Patientendaten von sieben Allgemeinkrankenhäusern in
Manchester aus.
Es handelt sich dabei um eine Langzeitbeobachtung: Die Daten erstrecken
sich über einen Zeitraum von 12,5 Jahren. Mit ihrer Hilfe analysierten
die Wissenschaftler die körperlichen Begleiterkrankungen von 23.371
Krankenhauspatienten mit Alkoholsucht und verglichen sie mit einer
Kontrollgruppe aus zufällig ausgewählten 233.710 Behandelten ohne
Alkoholismus.
„Im Beobachtungszeitraum starb etwa jeder fünfte
Krankenhauspatient mit Alkoholsucht in einem der Krankenhäuser, während
es bei der Kontrollgruppe nur jeder zwölfte Patient war“, fasst Prof.
Heun das Ergebnis zusammen.
Mit der Alkoholsucht traten 27 Begleiterkrankungen gehäuft auf
Insgesamt 27 körperliche Krankheiten traten gehäuft bei Patienten mit
Alkoholsucht auf: etwa der Leber, der Bauchspeicheldrüse, der Atemwege,
des Magen-Darm-Traktes und des Nervensystems. Im Gegensatz dazu waren
etwa Herzinfarkte, Herzkreislauferkrankungen und Grauer Star bei den
Patienten mit Alkoholismus weniger häufig als bei der Kontrollgruppe.
„Patienten mit Suchtproblemen werden oft als Notfälle in Kliniken
eingeliefert. Bei der Diagnose stehen dann die akuten Symptome im
Vordergrund - das führt möglicherweise dazu, dass nicht alle
körperlichen Erkrankungen erfasst werden“, vermutet Dr. Schoepf.
Auch
ein geringeres Schmerzempfinden und Wahrnehmungsstörungen der
Suchtkranken könnten dazu führen, dass bestimmte Krankheitsbilder von
den Ärzten nicht erkannt werden.
Die Studie sei in dieser Form einzigartig, betonen die Wissenschaftler.
Die große Zahl erfasster Patienten und die umfangreiche Kontrollgruppe
erlaubten eine sehr differenzierte Auswertung. Der für solche
Untersuchungen ungewöhnlich lange Beobachtungszeitraum ermögliche
darüber hinaus, auch Krankheiten zu erfassen, die nur allmählich
Beschwerden machen.
Dass die Untersuchung ausgerechnet mit Daten aus
Großbritannien durchgeführt wurde, hängt mit dem leichteren Zugang zu
den notwendigen Informationen in England zusammen. „Die Ergebnisse
beziehen sich zwar auf Allgemeinkrankenhäuser in Manchester, sie sind
aber aufgrund der großen Stichproben repräsentativ und
lassen sich
deshalb auf andere Allgemeinkrankenhäuser in anderen Ländern
verallgemeinern“, sagt Dr. Schoepf.
Forscher fordern Screening und frühzeitige Therapien
Aus Sicht der Wissenschaftler verdeutlicht die erhöhte Sterblichkeit der
Patienten mit Alkoholismus in Allgemeinkrankenhäusern, dass die Sucht
als Ursache der vielfältigen körperlichen Folgen in einem deutlich
früheren Stadium therapiert werden muss. „Durch gewissenhaftes Screening
und die frühzeitige Behandlung von psychischen und körperlichen
Begleiterkrankungen sollte es möglich werden, die Lebenserwartung von
Alkoholkranken deutlich zu erhöhen“, sagt Prof. Heun.
Prof. Dr. Reinhard Heun vom Royal Derby Hospital in England.
(c) Foto: privat
Publikation: Alcohol dependence and physical comorbidity: Increased
prevalence but reduced relevance of individual comorbidities for
hospital-based mortality during a 12.5-year observation period in
general hospital admissions in urban North-West England, Journal
“European Psychiatry”
Medizin am Abend DirektKontakt:
Dr. Dieter Schoepf
Klinik und Poliklinik für
Psychiatrie und Psychotherapie
des Universitätsklinikums Bonn
Tel. 0228/28716198
E-Mail: Dieter.Schoepf@ukb.uni-bonn.de
Johannes Seiler Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn
Weitere Informationen für Medizin am Abend beteiligte Leser:
http://dx.doi.org/10.1016/j.eurpsy.2015.03.001 Publikation im Internet